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Gott ist rund

Veröffentlicht am 01. Okt 2020 | Autor: Thomas Saalfeld
Gott ist rund
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Beschriftung
Beschriftung

Ein richtiger Fußballfan bleibt seinem Verein ein Leben lang treu.

Ich weiß, du sollst nur einen Gott haben, aber Blog-Beiträge haben keinen Anspruch auf politische oder soziale Korrektheit. Doch  „Gott ist rund“ hat der Journalist Dirk Schümer sein lesenswertes Buch betitelt, in dem der Fußball an den tiefsten Geheimnissen des Lebens rührt. Schließlich beziehen außer Profikickern selbst ambitionierte Amateurteams Trainingslager und gehen dabei ähnlich Mönchen in Klausur. Gunter Gebauer schrieb in dem Buch „Poetik des Fußballs“, dass Religion eine Intensivierung der Gefühle und des Zusammenhalts einer Gesellschaft bewirkt. – Bestes Beispiel: das Sommermärchen während der Fußball-Heim-WM 2006 und acht Jahre später beim deutschen Gewinn des Weltmeistertitels in Brasilien.

Kristian, der Sohn meiner Jugendfreunde Petra und Michael, drückt wie ich für Eintracht Braunschweig, aber auch für Hertha BSC aus seiner Heimatstadt Berlin die Daumen. Wenn diese Teams mal wieder eine Kanne Mist zusammenkickten, dann fackelte der Heißsporn schon mal eine Vereinsfahne ab. Seitdem er Fan von Bayern München ist, wärmt sich Kristian, an dessen Seite ich mit viel Windunterstützung ein Beachvolleyballturnier an der Nordseeküste gewann, an den Dauererfolgen des Champions-League-Siegers. Ich freute mich riesig über Eintracht Braunschweigs Siege gegen die Nachbarn aus Hannover und Wolfsburg, die Eintracht nur als Bundesliga-Lehrlinge sahen. Doch dann kickten die Blau-Gelben leider auch so und verspielten ihre Minimalchance auf den Klassenerhalt durch eine klägliche Saisonschlussphase.

Ich halte es mit der Kölner Rockband BAP. Die singen im Kölner Dialekt, dass man sich drei Dinge im Leben nicht aussuchen könne. Es sind Vater, Mutter und der Klub, mit dem man leiden muss. Wie dem BAP-Sänger Wolfgang Niederecken sind auch mir Menschen suspekt, die hin und her hüpfen, je nachdem welcher Verein gerade erfolgreich ist. Allerdings nötigt mir die gute Arbeit, die bei den Fußballprofiklubs in Freiburg, Mainz, Augsburg und Fürth mit vergleichsweise geringen Mitteln geleistet wird, Respekt ab. Und der Gladbacher Offensivfußball zu Zeiten der Netzer, Laumen, Simonsen und Co. war immer sehenswerter als der Ergebnisverwaltungs-Fußball der Bayern in jenen Zeiten.

Hörfunk-Reporter Herbert Zimmermann nannte den deutschen Torwart Toni Turek im Berner WM-Finale 1954 erst einen Teufelskerl und erhob den damals in Diensten Fortuna Düsseldorfs stehenden Schlussmann zum Fußballgott, dem Deutschland den 3:2-Finalerfolg über Ungarn zu verdanken hatte. Und das nach dem Zweiten Weltkrieg bis auf das eigene Wirtschaftswunder um Anerkennung gierende Deutschland konnte mit einem Male wieder erhobenen Hauptes anderen Nationen gegenübertreten. Ähnlich dürfte es den später geschundenen Griechen mit dem unerwarteten EM-Sieg 2004 unter Trainer Otto Rehhagel gegangen sein, den die Hellenen fix zum Göttersohn Rehakles umtauften.

Manch Fußballfan mag in der Sommerpause an eine heruntergedimmte Glühbirne erinnern. Er kommt erst dann auf Betriebstemperatur, wenn das Kunstleder wieder regelmäßig rollt. Denn ein richtiger Fan muss mit seinem Verein alle Täler durchlaufen und Gipfel erklimmen. Er soll leiden und fluchen. Wahrscheinlich ist dies die Funktion des Fußballs. Er gibt Männern und mittlerweile immer mehr Frauen in den Stadien die Möglichkeit, Seite an Seite zu leiden und auch mal Schwäche zu zeigen, meint Thomas Saalfeld.